Vater
Tom ist 52 Jahre alt. Wenn er anfängt zu sprechen, werden ganze Räume still, denn Tom redet selten, nur wenn es wichtig ist. Er ist durchschnittlich groß. Sein leicht gräulicher Vollbart wächst unermüdlich. Trotzdem pflegt er ihn viel zu selten, weshalb er sehr chaotisch ist. Klamotten interessieren ihn wenig. Hauptsache sie sind ordentlich und passen einigermaßen zueinander. Er trägt meistens dunkle Kleidung. Oft sieht man ihn in einer dunklen Jeans und dunklem Oberteil. Er ist davon überzeugt, dass man damit nie etwas falsch machen kann. Auch wenn ihn sein blasses Gesicht dadurch wie ein Gespenst aussehen lässt.
Er ist dünn, aber nicht athletisch. Sport bringt ihm keine Freude, er läuft nur hin und wieder ein paar Runden ums Haus, bevor er keuchend zuhause ankommt. Dann schwört er jedes Mal, es nie wieder zu machen. Und doch, jedes Mal wenn sich ein Bäuchlein anbahnt, fängt er damit von vorne an. Er wollte nie fett sein, das ist für ihn ein klares Zeichen, dass man im Leben aufgeben hätte. Doch er liebt nunmal Süßigkeiten über alles und scherzt, dass er süchtig danach wäre. Als wären sie sein Lebenselixier.
Geboren und aufgewachsen ist er in Frankfurt-Preungesheim mit seinen Eltern und 7 Jahre älterem Bruder Georg. Zu seinen Eltern hat er kaum Kontakt. Seine Kindheit war nicht sehr rosig gewesen. Tom hat vergeblich versucht die Aufmerksamkeit seines Bruders und die Zuneigung seiner Eltern zu bekommen, doch nach vielen Jahren hoffnungslos aufgegeben. Seiner Meinung nach braucht man die Familie nicht. Bis heute ist die Verbindung der beiden Brüder nicht besonders eng. Tom wollte deshalb auch nie eigene Kinder, er hat zu große Angst ein schlechter Vater zu sein. Und die traumatischen Erfahrung seiner Kindheit an seine Kinder weiterzugeben.
In der Uni hat Tom dann seine zukünftige Frau Susan kennengelernt. Beide studierten zu dem Zeitpunkt Architektur. Nach dem 3. Semester brach er das Studium ab, um Fotograf zu werden. Das Architektur-Studium hatte er nur seinen Eltern zur Liebe angefangen. Er merkte aber, dass er keine Verbindung dazu aufbauen konnte und entschied aufzuhören. Das war sein erster wirklicher „rebellischer Akt“. Von da an distanzierte er sich immer mehr von seiner Blutsfamilie und baute seine eigene auf.
Er spezialisierte sich auf Tierfotografie. Er kann stundenlang auf einem Fleck sitzen und auf den perfekten Moment warten. Ihn fasziniert die unverfälschte und echte Art der Tiere. Er ist überzeugt, dass Tiere nicht lügen, sondern einfach sie selbst sind. Diese Echtheit fängt er gerne mit seiner Kamera ein und stellt die Bilder in Galerien aus. Es gibt fast nichts, dass ihn glücklicher macht, als von einem Tag im Wald zurückzukommen und die Fotos stolz seiner Frau zu zeigen.
Die andere Sache, die ihn genauso glücklich macht, ist das Klavierspielen. Er ist kein Meister, aber es reicht für Stücke wie „River flows in you“. Er hat es von klein auf gelernt und sich stetig verbessert. Er begann Piano zu spielen, um seinen Eltern zu beweisen, was er alles kann. Später weil seine Eltern dann aufhörten zu streiten, wenn er zu spielen anfing und er die Ruhe genoss. Als er erwachsen wurde und von Zuhause auszog, spielte er weiter, weil er sich durch die Musik ausdrücken konnte. Er hat nie eigene Lieder geschrieben, aber fand immer neue Lieder, egal aus welchem Zeitalter, die seine Frau noch nie zuvor gehört hatte.
Nachdem Susan und er schon einige Jahre arbeiteten, zogen sie in eine gemeinsame Wohnung. Als Susan ungewollt schwanger wurde, entschieden sie sich ein Haus zu kaufen. Tom hatte nie besonders viele Freunde – bis heute nicht. Ihm hatten seine Frau und Tochter ausgereicht. Wenn sie aber mal Besuch hatten, waren es Freunde von Susan. Oft genug fand er eine Ausrede und floh mit seiner Kamera in die Tiefen des Waldes. Dort fühlte er sich sicherer als unter Menschen, die lügen, betrügen und man nie weiß, was diese denken.
Als seine Tochter laufen konnte, nahm er sie oft mit. Während er ständig Angst hat, ein schlechter Vater zu sein, bemerkt er gar nicht, dass er eigentlich einen ziemlich guten Job macht.